3.

Die Laken und Decken raffiniert um mich geschlungen und nur halb ausgezogen, wachte ich in einem Strudel von Übelkeit und Reue auf - den üblichen Begleiterscheinungen eines Katers. Sehr bald waren aber auch diese beiden alten Freunde außer Gefecht, gefesselt von einem überwältigenden Schuldgefühl, diesem noch viel älteren Freund. Wie dumm es war, Gehirnzellen an Whisky und Karten zu verschwenden, besonders da ich noch die Weiterreise vor mir und so wichtige Arbeit zu tun hatte. Was hätte Sir Peter Vaward wohl zu einem solchen Verhalten gesagt?

Ich ließ mir ein Bad ein, und während ich träge im Wasser lag, erinnerte ich mich an unsere erste Begegnung im Adastral House an der Ecke von Kingsway und Aldwych in London. Ich war per Telegramm von Kew einbestellt worden und stieg die Treppe hinauf in den dritten Stock, wo mich Miss Clements empfing, damals eine junge Sekretärin in einem Kaschmirpullover. Ich stand vor der hohen, eindrucksvoll vertäfelten Tür und wartete eine Zeitlang im »Vestibül«, wie sie es charmant lächelnd nannte. Manchmal versuche ich, sie im unruhigen Spiegel des Lebens wieder herzuzaubern - vor der nahenden Nacht, der Schwelle, bevor sich die Zeit um ihren Hals schlang.

Damals ließ ich sie vor Sir Peters Büro zurück. An der Wand hing ein großes Ölgemälde von Admiral FitzRoy, Darwins Kapitän auf der Beagle und dem ersten Direktor des Met Office. Er hatte Depressionen und brachte sich in seinem Bad mit einer Rasierklinge um. Ich will sie wiedersehen, diese schöne junge Frau, aber alles, was kommt, ist dieses verdammte Gemälde.

Ich hatte keine Ahnung, warum ich dort war. Die Einladung hatte mich am Tag zuvor erreicht. Ein Kradmelder war in die Gärten von Kew gebraust gekommen, wo ich gerade einen Wetterballon vorbereitete. Mir wurde ein dünner, blauer Umschlag mit dem Aufdruck EILT überreicht. Er enthielt den Befehl, mich am nächsten Tag um drei Uhr nachmittags im Adastral House zu melden.

Als ich in die Londoner Innenstadt kam, fielen mir wie immer die Sperrballons über der Stadt auf: Sie waren silberfarben, zwanzig Meter lang und schwebten an Stahlseilen etwa achthundert Meter über der Skyline. Außerdem war die Stadt voller Sandsäcke und Anderson-Luftschutzunterkünfte aus Wellblech.

Sir Peter gab mir die Hand. Er hatte ein langes, blasses Gesicht mit hervorstehender Oberlippe, der irgendwie ein Schnurrbart fehlte. Auf seiner Weste funkelte die Kette einer Taschenuhr, die das Licht eines Feuers reflektierte, das unter einem marmornen Kaminsims schwach flackerte. Der Kamin war mit Krümelgrus befüllt, einer bräunlichen, grobkörnigen Art Kohle, die dafür geschätzt wurde, dass sie sehr langsam brannte. Wie so viele andere Dinge ist er heute vergessen, aber er war genau das, wonach er sich anhörte: Grus (Kohlenstaub) mit festen Kohlekrümeln.

Mein Blick kehrte zu Sir Peter zurück. Alles in allem war er, was meine Mutter einen »anständigen Mann« genannt hätte, nur dass er leichenblass war - als würde er jede Nacht von Vampiren seines Blutes beraubt.

Im lauwarmen Badewasser liegend, betrachtete ich den tropfenden Wasserhahn, während ich mich an Sir Peters Gesichtszüge und seine Worte erinnerte. »Willkommen«, sagte er. »Schön, dass Sie so kurzfristig hier sein können.«

Während ich mich ihm gegenüber an den Schreibtisch setzte, wies er Miss Clements über eine Sprechanlage an, dass wir nicht gestört werden sollten. Dann hörte ich ein lautes Dong! Der Raum stand voller antiker Uhren, und sie alle schlugen etwas asynchron zur vollen Stunde.

Als der Lärm vorüber war, sprach Vaward. »Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich Sie herbestellt habe.« Eine große Standuhr mit einem Mondgesicht gab ein letztes Plink von sich. Er hielt inne und musterte mich eingehend. »Bevor wir anfangen, muss ich Sie bitten, das hier zu unterschreiben.«

Er schob ein Blatt Papier über den Tisch. Es trug den großen roten Stempel GEHEIM und begann mit den Worten

»Ich, , erkläre hiermit...«

Das war etwas Neues. Bisher war meine Aufgabe in diesem Krieg gewesen, Ballons mit kleinen Funksendern - Radiosonden oder »Globs«, wie wir sie nannten - in die höheren Luftschichten aufsteigen zu lassen, um Luftdruck, Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu messen. Sie wurden zur Wettervorhersage verwendet. Wetter als Satz veränderlicher Bedingungen. Wetter als Übergang zwischen verschiedenen Zuständen. Wetter als das, was war - ist - sein wird. Wetter als Informationsquelle.

Aber diese Information ist vergänglich und hält nicht länger als die Struktur, auf die sie verweist, genau wie das Badewasser, in dem ich saß, als ich mich an all das erinnerte, nicht mehr mein Badewasser sein würde, wenn ich es durch den Abfluss laufen ließ. Aber vielleicht sollte man sich Wasser ohnehin nicht als etwas vorstellen, das man besitzen kann.

Ich hatte diese Ballons oft bei Gewitter aufsteigen lassen und dabei im unbequemen Ölzeug geschwitzt. Auch an der sogenannten Freiballon-Barrage hatte ich mitgearbeitet, was spannender war. Dabei ließ man kleine Wasserstoffballons steigen, die Kabel mit Mini-Bomben am Ende hinter sich herzogen. Sie sollten in ungefähr 6000 Meter Höhe schweben und eine Art Luftminenfeld für unvorsichtige deutsche Bomber darstellen. Es gab keine Hinweise, dass jemals ein feindliches Flugzeug mit einem Teil der Barrage kollidierte, doch wurden mehrfach mutmaßliche Ausweichmanöver deutscher Piloten beobachtet, vielleicht haben wir ihnen also den einen oder anderen Schrecken eingejagt.

Außer dieser Arbeit war ich nur rein wissenschaftlich tätig gewesen, also machten mich Sir Peters ungewisse Pläne ziemlich nervös.

»Ich gehe davon aus, dass Sie nichts dagegen haben, diese offizielle Geheimhaltungserklärung zu unterschreiben«, sagte er, während ich das Dokument vor mir studierte. »Es ist eine reine Formalität, bevor wir zur Sache kommen.«

Mir wurde flau im Magen. »Habe ich in Kew etwas falsch gemacht, Sir?«, fragte ich.

»Ganz und gar nicht. Das ist auch eine der Sachen, die ich mit Ihnen besprechen wollte. Wir lösen die Abteilung in Kew auf. Einige Ihrer Kollegen gehen zu einer Sonderwettereinheit in Bushey Park, die die Oberaufsicht über alle Entwicklungen auf dem Kontinent führen wird. Andere werden in der Chemiewaffenstation in Porton Down auf den Salisbury Plains arbeiten. Der Rest wird nach Bedarf über die Streitkräfte verteilt.«

Ich unterschrieb das Blatt, während er sprach. Ich wollte nicht nach Porton Down.

»Viele zivile Met-Office-Mitarbeiter werden in die RAF dienstverpflichtet - Sie werden also deutlich mehr blaue Uniformen zu sehen bekommen.«

»Was ist mit Dr Stagg?«, fragte ich und dachte an meinen Direktor in Kew.

»Sein Wissen und seine Erfahrung werden benötigt, um ein meteorologisches Projekt von akuter nationaler Wichtigkeit zu leiten«, antwortete Sir Peter gelassen, was mich auch nicht schlauer machte.

»Und die Messungen?« Zu meinen Aufgaben gehörte auch das Ablesen langer Reihen von Messgeräten, Skalen und anderer Ausrüstung unter der Kuppel des Observatoriums in Kew.

»Eine Notbesetzung«, erwiderte Sir Peter barsch. »Genug. Sie müssen nur wissen, dass ich andere Pläne für Sie habe. Es geht um eine Angelegenheit in Kilmun in Argyll.«

»Gibt es da eine Wetterstation?«

Sir Peter lachte. »So könnte man ihn auch nennen. Sie werden als Tarnung eine eigene Wetterstation aufbauen und einer Abteilung des Met zuarbeiten.«

»Es tut mir leid, Sir. Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

»Hören Sie, Meadows. Bevor ich Ihnen noch mehr erzähle, sollte ich Ihnen erklären, dass es für Sie die Beförderung zum Technical Officer bedeutet, wenn Sie den Auftrag annehmen. Ich habe den Eindruck, dass Sie in Kew nicht voll ausgelastet sind. Sie haben in Cambridge den Sheepshanks-Preis gewonnen, zum Donnerwetter!« Er zündete sich eine Zigarette an und starrte mir über die Flamme in die Augen. »Sie sind doch wohl kein Verweigerer, oder?«

»Auf gar keinen Fall, Sir«, protestierte ich.

»Schon gut«, erwiderte er. »Es gibt viele Möglichkeiten, wie man seinem Land helfen kann. Was ich Ihnen vorschlage, ist nicht gefährlich. Es erfordert allerdings eine gewisse Gerissenheit und den richtigen Riecher für Geheimnisse. Sie werden auf jeden Fall wissenschaftlicher Arbeit nachgehen, auch wenn sie vielleicht etwas ins Detektivische reicht.«

Er hielt inne, als erwartete er eine Reaktion. Ich blieb still.

»Wir möchten, dass Sie einen Außenposten für Dunoon in Kilmun aufbauen, am Ufer des Holy Loch. Das ist allerdings nicht nur reine Tarnung; die Royal Navy hat im Loch eine U-Boot-Basis eingerichtet, für die wir in Dunoon selbst eine der HMS Osprey angegliederte Wetterstation betreiben.«

»Ich verstehe«, erwiderte ich. »Und das ist meine Aufgabe?«

»Nicht ganz«, antwortete Sir Peter und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Haben Sie von Wallace Ryman gehört?«

»Selbstverständlich. Er ist der Begründer der numerischen Wettervorhersage.« Er war sowohl einer der führenden Turbulenztheoretiker als auch der Erfinder eines Wettervorhersagesystems auf mathematischer Basis.

Sir Peter sah mich an, als erwartete er, dass ich weitersprach.

»Bei der Ryman-Methode wird jede Wettersituation in Zahlen beschrieben und darauf basierend geschätzt, wie sie sich entwickeln könnte«, setzte ich fort. »Er teilt die Atmosphäre in dreidimensionale >Luftparzellen< ein und ordnet jedem Wetteraspekt darin einen Zahlenwert zu. Dann ermittelt er mathematisch, wie es weitergehen könnte.«

Der Met-Office-Direktor unterbrach mich. »Aber es funktioniert nicht. Ryman selbst hat einen Fehler gemacht. Er hat das Schema im ersten Krieg angewendet, und es hat nicht funktioniert.«

»Das ist mir bewusst. Aber die Unmöglichkeit lag in der Berechnung, Sir. Die Theorie selbst hält stand. Im Prinzip ist diese Art der Vorhersage möglich.«

»Das mag sein. Wollen wir es hoffen«, sagte Sir Peter. »Noch etwas?«

»Mir wurde erzählt, dass Ryman früher für das Met Office gearbeitet und dann protestiert hat, als es vom Luftfahrtministerium übernommen wurde. Warum, weiß ich nicht.«

»Er ist Quäker«, erwiderte Sir Peter mit kaum verborgener Verachtung. »Aus Pazifismus hat er in den Zwanzigern das Met Office verlassen. Er war schon immer sehr schwierig ...«

Sir Peter hielt inne, als hätte er plötzlich gemerkt, dass er zu viel gesagt hatte. Er streckte seine knochige Hand nach dem Papier aus, das ich unterschrieben hatte, faltete es einmal, legte es in eine Schreibtischschublade und drehte den Schlüssel um, bevor er weitersprach.

»Um die Wahrheit zu sagen, Meadows, ist er kein einfacher, aber dafür ein umso brillanterer Mann, und die britische Meteorologie braucht ihn sehr. Jetzt kommen wir zum springenden Punkt. Kennen Sie die sogenannte Ryman-Zahl?«

Ich kam an die Grenzen meines Wissens. »Nur in den Grundzügen, Sir«, gab ich zu. »Sie erklärt das dynamische Verhältnis zwischen den beiden Typen von Energie, kinetischer und potentieller, die das Wetter verändern.«

Sir Peter nickte. Er schien nicht überrascht. »Außer den Grundlagen weiß kaum jemand etwas. Deshalb schicke ich Sie nach Schottland. Auch wenn ich mich einmal seiner Arbeit bedient habe, weiß ich selbst nur wenig darüber.«

»Wofür brauchen Sie ...? Wenn ich fragen darf ...?«

»Die Ryman-Zahl ist von enormer Bedeutung, weil sie die Stärke der Turbulenz in einer gegebenen Situation beschreibt. Von den Wenigen, die sie überhaupt kennen, weiß nur er, wie man sie anwendet... sie variiert in verschiedenen Kontexten, wie man es auch erwarten würde. Die Regierung möchte die Zahl für eine bestimmte Operation verwenden. Eine Operation zu Wasser und in der Luft von enormen Ausmaßen. Die langerwartete Invasion des europäischen Festlands über den Kanal. Wir sind der Überzeugung, dass Ryman der einzige lebende Mensch ist, der wirklich versteht, wie eine Reihe von Werten seiner Zahl praktisch angewendet werden kann - auf ein spezifisches geographisches Gebiet und Zeitfenster -, aber er hat nicht auf meine Briefe geantwortet.«

»Was ist mit den Deutschen?«

»Die haben eine meteorologische Sondergruppe aufgestellt, die das Datum der alliierten Invasion vorhersagen soll. Sie wird von Professor Ludwig Weickmann geleitet und besteht aus Leuten wie Baur und Wagemann, von denen Sie sicher im Laufe Ihrer Studien gehört haben. Prandtl arbeitet auch irgendwo im Hintergrund mit. Ryman ist denen ein Begriff, das wissen wir aus Zitaten in wissenschaftlichen Veröffentlichungen.«

Er hielt inne und sah mich mit klaren Augen an. »Es ist also wichtig, dass wir selbst die Zahl richtig verstehen, bevor die Meteorologen an die Arbeit gehen. Wir können uns in dieser Angelegenheit nicht auf die Vorsehung verlassen. Dr Stagg wurde als Leiter der Abteilung ausgewählt, die die Vorhersage für die Invasion ausarbeitet. Wenn Sie sich bewähren ...«

Er sah mich an und beobachtete meine Reaktion. Ich weiß noch, dass ich versuchte, meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten. Ich wartete darauf, dass er fortfuhr, aber er sprach den Satz nicht zu Ende.

»Nun ja ... wir glauben, dass Ryman insgeheim an seinem Programm gearbeitet und seine Zahl auf andere Forschungsgebiete angewendet hat. Es ist ja gut und schön, dass es unter den Wissenschaftlern Freidenker gibt, aber in Kriegszeiten sollte nichts vor der Regierung geheimgehalten werden, was den Sieg herbeiführen könnte.«

Ich weiß noch, dass ich deutlich den Geruch der Möbelpolitur auf all den Uhren in der Nase hatte. Ein vertrauter Geruch von Bienenwachs, der mich an die afrikanischen Angestellten erinnerte, die es in unserem Haus bei Kasungu in Nyasaland auf dem Parkettboden verteilten. Lappenumwickelte Hände, die in den gelben Topf tauchten. Unser Hund Vickers, der ungelenk über den Boden rutschte. In Richtung der Terrassentür, des gepflegten Rasens, der Blumenbeete, eines hoch aufgeschossenen Bestandes von blauem Eukalyptus mit einem einzelnen Affenbrotbaum, in dem immer eine große Anzahl Weißstörche hockte.

Weiter entfernt von den Terrassentüren lagen die flachen Weiten der Tabakplantagen der Kasungu-Tiefebene, wo durch die großen, blassgrünen, gewellten Blätter ein feuchter Wind ging, der Chiperoni genannt wurde.

»Sie werden nach Kilmun gehen und dort eine Wetterstation einrichten. Einen Außenposten für Dunoon, wie gesagt. Die Ausrüstung ist schon zu einem Haus in der Nähe von Rymans geschickt worden, wo Sie wohnen werden. Der Dienststellenleiter in Dunoon ist Whybrow. Neben Ihren regulären Aufgaben sollen Sie sich mit Ryman anfreunden. Finden Sie heraus, woran er arbeitet.«

Ein langsam abkühlendes Bad im Hotel Cross Keys in Glasgow. Die eindrucksvolle Stimme von Sir Peter Vaward in einem Büro am Kingsway in London. Wind in den Tabakfeldern von Kasungu. Vergangene Tage, die nur noch in der Erinnerung existieren. Tage, die schwinden wie das Licht in den Eukalyptusbäumen bei Sonnenuntergang. Tage, die bald für immer verschwunden sein werden.

»Finden Sie die Ausdehnung der relevanten Werte seiner Zahl für eine Invasionsfront von, sagen wir, achtzig Kilometern heraus. Finden Sie heraus, wie man sie praktisch anwendet. Gehen Sie von zwei Monaten Vorlaufzeit vor der Invasion aus, in denen laufend Wettervorhersagen berechnet werden, und von unter einer Woche zwischen der kritischen letzten Vorhersage und dem Datum der Invasion.«

Er hielt inne, als wollte er sich vergewissern, dass ich ihm auch folgte. »Und Meadows?«

»Ja, Sir?«

Die Flammen im Kamin züngelten und suchten jede ihre eigene Portion Luft.

»Wenn Sie ihn überzeugen können, seine pazifistischen Prinzipien in den Wind zu schlagen und uns dabei zu helfen, die Nazis zu besiegen, umso besser.«

»Ist das wahrscheinlich?«, fragte ich.

»Es ist wahrscheinlicher, dass der König Hitler in den Buckingham Palace einlädt, mit ihm Shepherd's Pie zu essen, aber Sie müssen es trotzdem versuchen. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass wir Ryman erlauben könnten, sein Wissen für sich zu behalten. Übrigens werden Sie in Dunoon außer unseren regulären Met-Mitarbeitern einen Burschen von der experimentellen Abteilung der Streitkräfte treffen. Sie kennen die experimentelle Abteilung, nehme ich an?«

»So gut wie jeder andere auch«, erwiderte ich. Es war eine Art Professorenasyl, das von Mountbattens Stabschef Wildman-Lushington geleitet wurde. Die Aktivitäten dieser Sektion - allerlei seltsame militärische Forschung - waren Objekt wilder Spekulationen der anderen technischen Abteilungen der Regierung.

»Auf jeden Fall befindet sich ein brillanter Mitarbeiter dieser Sektion in Dunoon, der Ihnen vielleicht helfen könnte. Sein Name ist Pyke. Er ist Experte für Eis.«

Ich wusste nicht, was Eis mit meiner Aufgabe zu tun haben sollte. Es gab so schon genug zu tun. Bevor ich ging, wollte ich mich noch einmal vergewissern, dass die Mission wirklich so umfangreich und unmöglich war, wie sie mir langsam erschien.

»Nur um zu sehen, ob ich alles richtig verstanden habe, Sir. Sie wollen, dass ich mit allem, was es über die Ryman-Zahl zu wissen gibt, hierher zurückkomme. Sie wollen, dass ich herausfinde, wie breit das Feld angrenzender Zonen von Turbulenz ist - Europa, der Atlantik, die Irische See -, die wir einberechnen müssen, um auf der anderen Seite des Kanals landen zu können. Und sie wollen, dass ich eine praktische Methode entwickle, die Ungewissheit all dieser einzelnen Zonen mit den variierenden Zeitreihen ihrer Wettersysteme in ein einziges, zusammenhängendes System zu bringen?«

»Ja. Gut gesagt, Meadows. Sie sollten wissen, dass ich Sie wegen Ihrer akademischen Leistungen und wegen der exzellenten Gutachten ausgewählt habe, die Douglas und Stagg Ihnen ausgestellt haben. Sind Sie bereit für diese Herausforderung?«

Ich nickte energisch - in Wahrheit eine lächerliche Reaktion auf so eine Frage, aber so war ich eben.

Vielleicht spürte Sir Peter es. »Glauben Sie nicht, dass es eine einfache Aufgabe wird«, sagte er. »Ryman ist stur und etwas eigenartig. Er wird vorsichtig sein. Er wird sich nicht schmeicheln oder beschwatzen lassen. Sie müssen seinen Respekt gewinnen. Das ist ein weiterer Grund, weshalb ich Sie ausgewählt habe - weil Sie, nehmen Sie es mir nicht übel, einiges mit ihm gemeinsam haben.«

Von heute aus betrachtet nehme ich an, dass er meinen Hang zum Technischen und meine Fähigkeit meinte, mich in Dinge hineinzusteigern.

»Möglicherweise ist es am einfachsten, über seine Frau an ihn heranzukommen«, setzte Sir Peter fort. »Sie selbst sollten allerdings alles geheim halten, was Sie erfahren. Passen Sie gut darauf auf, denn es geht hier um eine ganz große Sache. Diese Akte wird Ihnen sicher helfen. Sie enthält verschiedene meteorologische Aufsätze Rymans aus der Zeit, als er noch veröffentlichte.«

Während ich in dem Glasgower Hotel in der Badewanne lag und an all das zurückdachte, pochte mir zwar gerade der Kopf, aber als Sir Peter gesprochen hatte, hatten sich heroische Visionen in ihm abgespielt. Ich hatte das Büro in der Überzeugung verlassen, ich sei als unentbehrlicher Retter ausgewählt worden, um einen lebenswichtigen Auftrag zu erfüllen und der Nation einen großen Dienst zu erweisen.

Das Wasser um meinen Körper kühlte langsam ab. Ich war wohl bereits gestrauchelt, überlegte ich. Ich war über den Wirrwarr der Impulse gestolpert, den die Natur jedem Individuum einpflanzt, damit wir unsere eigene Persönlichkeit nie als durchstrukturierte Information wahrnehmen. Von innen wie von außen lauert die Unordnung stets darauf, sich auf uns zu stürzen. Das Scheitern ist allzeit bereit. Es braucht nur einen kleinen Stoß gegen den Stein unserer Selbstbeherrschung, und schon ist die ganze Unternehmung gefährdet. Manchmal ist die Erinnerung das Einzige, was das Individuum zusammenhält: zugleich Gruft und Grundpfeiler.

Doch kann man nicht in der Vergangenheit leben. Man muss sich erlauben zu wachsen. Und genau deshalb ist die Bedrohung durch totale Unordnung notwendig: Sie fördert das Blattwerk unfertiger Zustände, dieser geistigen Tarnungen, die unseren statistischen Schutz vor künftigen Risiken erhöhen. Wäre das geistige System geschlossen, gäbe es nicht die ständige Gefahr der Niederlage, würde es sich mangels Aufgabe auflösen.

In dieser nachdenklichen Stimmung hievte ich mich aus der Wanne, stand nackt vor dem Spiegel, trocknete mir die Haare mit einem Handtuch und holte mein Rasierzeug heraus. Ich war damals recht schlank - dafür sorgte die Rationierung -, und trotz der anhaltenden Effekte der vorabendlichen Ausschweifungen konnte ich mich mit so etwas wie Gleichmut im Spiegel ansehen. Als ich meine dunklen Augen betrachtete, sah ich einen Moment lang das Gesicht des Jungen, der in Kasungu unter dem blauen Eukalyptus herumgerannt war und die Störche von ihrem Baum verscheucht hatte, dass es nur so flatterte.

Während die schwarzen Stoppeln sich lösten und die Seifenschaumschlieren sprenkelten, gewann ich etwas von dem Gefühl der Dringlichkeit zurück, das ich brauchen würde, um mich wieder der Aufgabe zu widmen, die Sir Peter mir anvertraut hatte.

Ich schob den Vorhang zur Seite und sah nach dem Wetter draußen. Genau wie Krick es vorhergesagt hatte, war der Schnee fast völlig verschwunden. Sogar die Sonne schien etwas. Von dem Schneesturm waren nur noch Pfützen und tropfendes Mauerwerk mit vereinzelten weißen Flecken auf geschützten Vorsprüngen oder zwischen versetzten Dachziegeln geblieben.

Ein gefleckter und geströmter Mischlingshund durchstöberte vom Wind umgeworfene Mülltonnen in der Gasse hinter dem Hotel, in der das Wasser stand. Er zog verschiedene nasse Dinge heraus, prüfte sie kurz auf ihre Essbarkeit und trottete dann weiter durch das Chaos zum nächsten undefinierbaren Gegenstand. Zumindest von mir aus gesehen undefinierbar.

Chaos, Tohuwabohu, Turbulenz ... auch hier ist die Frage der Perspektive entscheidend. Man könnte wieder fragen, was sie denn ist, diese Sache, der ich mein Leben widme.

Auf einer Ebene ist sie einfach. Turbulenz ist das wabernde, strudelnde Verhalten von Gasen oder Flüssigkeiten, die um ein Objekt strömen (das auch ein anderes Gas oder eine andere Flüssigkeit sein kann). Rätselhafter ist es, dass es sich aus einer Perspektive um einen vorhersagbaren Prozess handelt, der aus einer anderen Perspektive oder über einen anderen Zeitraum betrachtet ungeordnet und unvorhersagbar wird.

Ich zog mein Hemd und meinen Anzug an, knotete meine Krawatte - eine dunkelgrüne mit Punkten -, band mir die Schnürsenkel und packte wieder meinen Koffer. In gewisser Hinsicht hatte es gar nicht schlecht geklappt, schließlich hatten die Amis mich im Auto mitgenommen und direkt in ein Hotel gebracht.

Nachdem ich nach unten gegangen war, gefrühstückt und zwei Tassen starken Kaffee getrunken hatte, war ich abreisebereit. Ich sah mich nach Krick und seinem Mitarbeiter um, als ich meine Rechnung bezahlte, aber sie waren nirgends zu sehen. Sind bestimmt schon zum Flughafen gefahren, dachte ich und ging selbst hinaus in das Gewirr der Straße.

Draußen überraschte mich ein Gewusel aus Geschäftsleuten, Menschen beim Einkaufen und Soldaten. Als ich die griesgrämige Menge durch die geschmolzenen Reste des Schnees stapfen sah, wurde mir klar, dass Schottland für jemanden wie mich genauso gut ein fremdes Land hätte sein können. Andererseits kam es mir in England auch oft so vor, was bei vielen der Fall ist, die in den Kolonien aufgewachsen sind. Es war, als wären wir in eine andere Heimat zurückgekehrt als die, die wir uns die ganze Zeit vorgestellt hatten.

Ich konnte all die geschniegelten Offiziere nicht ausstehen, aber die Arbeiter kamen mir auch nur grob und dumm vor. Viele der Intellektuellen hielten nicht viel von Wissenschaft, was mich wütend machte. Wahrscheinlich hatte ich auch deshalb nicht das Gefühl, dazuzugehören, weil ich katholisch erzogen worden und Halb-Ire war; wenn ich mich überhaupt irgendwo zu Hause fühlte, dann in Zentralafrika.

Nach einigen politischen Problemen zu Hause - er kam aus einer Händlerfamilie aus Tralee im County Kerry - war mein Vater nach Afrika ausgewandert, wo er nach zahlreichen Abenteuern in Südafrika, Kenia und anderswo schließlich Leiter einer Tabakfarm in Nyasaland geworden war. Meine Mutter war die Tochter eines britischen Kupferminenbetreibers aus Nordrhodesien, eines Witwers, der nach Nyasaland gezogen war, um nach Gold zu suchen, und meine Mutter meinem Vater mehr oder weniger in die Hände gab. Sie war die Katholikin, nicht er, obwohl er Ire war. Die Familie Meadows war protestantisch. Also kam ich von Anfang an aus einer Mischehe.

Den Koffer in der Hand, stand ich noch eine Weile da und beobachtete das schwermütige Glasgower Gedränge, während meine trotz kräftigen Knetens noch feuchten Haare wieder Locken formten, und schlug schließlich mit der anderen Hand den Mantelkragen hoch und machte mich auf den Weg.

 

Die Geometrie der Wolken
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